Legende...

In verschiedenen gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre hat sich gezeigt, wie wirksam Intentionszuschreibungen sind, um Deutungskämpfe auszutragen und das Verhältnis sozialer Gruppen zueinander zu verhandeln. Dies gilt insbesondere für Situationen, in denen Kollektiven Intentionen unterstellt werden, die vermeintlich ihr Handeln anleiten. Anderen Akteurinnen Absichten zuzuschreiben ist sozial wirksam, wie sich für ganz unterschiedliche Gesellschaften und Epochen feststellen lässt. Unser von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Netzwerk untersucht, wie das Zuschreiben von Intentionen im Mittelalter Interaktionen zwischen Personen koordinierte, Gruppen gegeneinander profilierte, Akteure inkludierte oder exkludierte und dadurch soziale und diskursive Strukturen formte.

Unsere forschungsleitende Hypothese besagt, dass Personen sowie Gruppen ihr Verhältnis zueinander über Intentionszuschreibungen und das Zurechnen von Verantwortung klären. Dabei gehen wir davon aus, dass die Art und Weise sowie die konkrete Funktion dieser Zuschreibungen stark von der Logik des sozialen und diskursiven Raumes abhängt, in dem sie erfolgt. Um diese zu erforschen, setzt das Netzwerk bei den Aussagen über Absichten, Pläne und Strategien historischer Akteurinnen und Akteure in mittelalterlichen Quellen aus unterschiedlichen Kontexten an. Dazu wird eine große Bandbreite von Quellensorten in den Blick genommen, von Chroniken über Traktate bis hin zu Briefen, von literarischen Texten über Verträge bis hin zu Urkunden, von gelehrten Abhandlungen über Predigten bis hin zu Viten.

Bezogen auf das europäische Mittelalter geht das Netzwerk der Fragestellung nach, wie Intentionszuschreibungen wirkten und wann sie für die Zeitgenossen zum Problem wurden. Akteurinnen und Akteure nehmen zumeist Intentionszuschreibungen vor, die aus Sicht der Handelnden im Wesentlichen treffend sind. Denn sie erfolgen nicht willkürlich oder zufällig, sondern aufgrund von in früheren Kommunikationssituationen erworbenen Erfahrungen und sozialen Routinen. Wer die Regeln kennt, kann die Zuweisung bestimmter Absichten durch seine Beobachterinnen teilweise steuern. Doch immer wieder fühlen sich Akteurinnen und Akteure nicht richtig verstanden, ist es strittig, welche Intentionen jemand tatsächlich verfolgte, ist das Zuschreiben von Intentionen selbst ein strategischer Zug, um eigene Absichten durchzusetzen, was auf Widerstand treffen kann. Wenn in dieser Weise Routinen der Intentionszuschreibung durchbrochen und die Absicht der Anderen zum Problem wird, erzeugt dies Brüche und Konflikte, die sich in den Quellen niederschlagen. Hier kann unsere Forschung ansetzen.

Die Mitglieder des Netzwerks erarbeiten gemeinsam ein Handbuch zum Thema Intentionszuschreibungen im europäischen Mittelalter. Darin sollen die Funktionsweisen und Wirkungen von Intentionszuschreibungen und die reflexiven Bezugnahmen auf Intentionen und Intentionszuschreibungen untersucht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden regelmäßig Netzwerktreffen durchgeführt. Die Ergebnisse sollen zudem auf Workshops und Tagungen vorgestellt und diskutiert werden. Angestrebt wird, die zeitliche Perspektive auszuweiten und nach Ähnlichkeiten und Unterschieden der Wirkweise von Intentionszuschreibungen in der Vormoderne und der Moderne zu fragen, wobei ausdrücklich auch kulturvergleichende Perspektiven eingenommen werden sollen.